Ninja waren auch Teil der Samurai Klasse - ausführliches Interview mit Antony Cummins

Bushu.ch: Hallo Antony. Es ist mir ein Vergnügen endlich dieses Interview mit dir zu führen. Wie geht es dir?

Antony Cummins: Mir geht es gut soweit. Weihnachten ist vorbei. Ich bin dabei alles aufzuräumen und habe werde in den nächsten Tagen wieder meine Arbeiten aufnehmen.

Bushu.ch: Ja, ich auch. Der offizielle Urlaub ist vorbei und die Arbeit beginnt bald wieder. Ich kenne ein paar deiner Bücher, wie z.B. „in Search of the Ninja”. Ich mag das Buch sehr und ich schaue auch regelmässig auf deinen YouTube-Kanal. Bisher wurde keines deiner Bücher auf Deutsch veröffentlicht. Ich glaube deshalb wissen viele Bujinkan-, Genbukan- und Jinenkan-Schüler in der Schweiz und in Deutschland sehr wenig über dich und deine Arbeit. Fangen wir mit deinem Hintergrund an. Ich weiss, dass du Bujinkan trainiert hast und dann angefangen hast Bücher zu schreiben und deinen Videokanal zu starten.

Antony Cummins: Ja, ich habe mich eigentlich immer für Ninjas interessiert, aber ich habe erst ca. Jahr 1999 meine erste Bujinkan-Klasse besucht. Ich kannte Hatsumi seit meiner Kindheit und wir haben die Bücher und Magazine bekommen. Ich wusste wer Hatsumi ist und ich wusste wer Stephen K. Hayes ist und schliesslich fand ich ein Dojo, um in der Kunst der Ninja zu trainieren.

Dort begegnete ich Steven Powell, der mein Shidoshi geworden ist. Er kam aus dem Nordosten Englands und war gerade erst nach Manchester gezogen. Er war damals ein 5. Dan, also fing ich an persönlich mit ihm zu trainieren und wir bildeten einfach eine kleine Gruppe von Freunden, die Bujinkan trainierten. Ich ging danach in den Nordosten und trainierte mit Dennis Bartram, der auch das Wissen der Amatsu-Tatara-Schriftrollen lehrte.

Bushu.ch: Ich habe eine Frage. Die grosse Sache, die ich in diesem Interview ansprechen möchte, ist folgende: Es gab eine grosse Kontroverse als du festgestellt hast, dass es keinen historischen Beweis dafür gibt, dass die Ninja jemals ein Nahkampfsystem hatten und dass die Ninja Teil der Samurai-Klasse sind. Wenn die Ninja in den Kampfkünsten trainieren wollten, dann trainierten sie die gleichen Dinge wie die Samurai, weil es Samurai gibt. Aber beim Ninja-Training ging es nicht um den Kampf, sondern um die Kunst der Spionage. Dinge wie das Sammeln von Informationen über Burgen, Personen und auch Truppenbewegungen. Auf welcher Grundlage bist du zu dieser Schlussfolgerung gekommen?

Antony Cummins: Zunächst einmal musst du daran denken, dass es hier nicht darum geht, dass ich beweise, dass es keine Ninja-Kampfkunst gibt. Man muss mir zeigen woher sie stammt. Wo ist die Ninja-Kampfkunst? Vergiss nicht, ich war ein begeistertes Mitglied des Bujinkan und ich würde mich freuen, wenn es eine Ninja-Kampfkunst gäbe, aber lass uns mit dem Wort Kampfkunst beginnen. Die Übersetzung wird schwierig sein. Wir meinen damit den Nahkampf, d.h. den physischen Kampf zwischen zwei Menschen und nicht die Kampfkunst im Sinne der Kriegsführung.

Viele Menschen versuchen also zu sagen, dass mit Kampfkunst die Kriegsführung gemeint ist und die Ninjas deshalb eine Kampfkunst hatten, die Ninjutsu heisst, aber das funktioniert so nicht. Es ist ein dummes Argument. Als ich nach Japan ging, sah ich mir alle Bücher an, ging zu allen Antiquariaten und sammelte alle alten Bücher über die Ninja und besprach sie mit Yoshie Minami, meinem Übersetzer. Aber vergiss nicht, ich glaubte damals Ninjutsu sei eine Kampfkunst für den Nahkampf. Nach einigen Recherchen stellte sich aber heraus, dass viele dieser Bücher aus den 1950er und 1960er Jahren nur erfunden waren und es keine Grundlage für ihre Behauptungen gab.  

Die Menschen damals haben nur geraten, aber keiner von ihnen behauptete, dass es ein Nahkampfsystem gibt, das von den Ninja verwendet wird. Niemand ausser Takamatsu. Er war der einzige. Sogar Seiko Fujita hat gefragt, warum Kampftechniken verwendet werden. Das ist nicht Ninjutsu. Manche Menschen zeigten damals, wie ein Ninja wahrscheinlich fliegen oder schleichen konnte und solche Sachen. Es war also einfach nur ein grosses Durcheinander und es scheint, dass niemand wirklich etwas wusste. Das war ein grosses Problem für mich.

Ich beschloss dann alle Bücher aus dem 20. Jahrhundert loszuwerden. Es handelt sich nicht um Primärforschung, also habe ich beschlossen das alles wegzulassen. Ich musste also noch einmal ganz von vorne anfangen. Und von da an haben wir nur uns noch auf die Primärforschung konzentriert. Das bedeutet, dass wir nur Schriftrollen aus der Vergangenheit und nur historische Informationen verwenden. Es gibt keine einzige Erwähnung von irgendeiner Form von spezifischem Nahkampfsystem, das nur von den Ninjas verwendet wird.

Aber es gibt so viele Informationen die sagen, dass sie ganz normale Leute sind, die sehr gut in der Spionage ausgebildet sind. In jeder einzelnen Ninja-Schriftrolle geht es um Spionage, Magie, Saboteure usw. Ein Nahkampfsystem wird überhaupt nicht erwähnt. Es steht sogar, dass man als Ninja manchmal Kenjutsu lernen muss oder manchmal lernen muss, wie man fliehen kann und wie man aus einer Situation herauskommt, aber es steht nichts darüber, dass man eine besondere Art von Schwertkampf lernt. Es steht nur, dass man das Schwert studieren soll, weil man diese Fähigkeit in einem Notfall brauchen könnte.

Bushu.ch: Im echten, authentischen Ninjutsu gab es also keine Kampftechniken, die ein Ninja in der Ausbildung gelernt hat. Es wurden andere Fähigkeiten gelehrt, wie z.B. Spionage, Informationsübermittlung, Sabotage, Infiltration, Vergiftung wichtiger Personen usw.

Antony Cummins: Ja, das ist das Problem mit meiner Forschung. Jeder möchte etwas über die Kampfkunst lernen, weil jeder denkt, dass Ninjutsu ein Kampfkunstsystem ist und die meisten Menschen sind enttäuscht, dass es keine Kampfkunst im historischen Ninjutsu gibt.

Bushu.ch: Trainierst du noch eine Kampfkunst?

Antony Cummins: Nicht wirklich. Ich mag die Kampfkünste und trainiere gelegentlich mit einem Freund. Ich war in Japan und habe die Schwertschulen gesehen. Ich war in einer Jujutsu-Schule, aber ich war nicht glücklich damit. Ich habe vor kurzem sogar einige Monate zum Spass in einer Schule in Japan trainiert und als ich herausfand, dass die Schule neu gegründet und neu erfunden wurde, habe ich aufgehört, weil es offensichtlich war, dass sie nicht aus dem 15. Jahrhundert weitergeführt wurde.  

Aber bei den Kampfkünsten ist es schwer die Geschichte dahinter zu finden, weil man versucht die Bewegungen und nicht die Truppenbewegung zu beschreiben. In den letzten paar Jahren habe ich paar ShinKage-Ryu-Schriftrollen erhalten. Ich habe 22 Tage in Japan verbracht und das Dorf Yagu besucht. Wusstest du, dass es im Dorf Yagu keinen einzigen Schwertkämpfer mehr gibt? Es gibt nicht einmal eine Klasse. Nur ein Kendo Dojo. Das wars. Das hat mich wirklich schockiert und ich fand heraus, dass der Inhalt der ursprünglichen Yagu-Schriftrollen nicht mit dem übereinstimmt, was heute praktiziert wird.

Ich habe deshalb das Training aller japanischen Kampfkünste gestoppt bis ich jemanden finden kann, der tatsächlich lehrt, was früher gelehrt wurde. Ich werde es selbst tun und an die Schriftrollen kommen.

Bushu.ch: Sehr interessant. Niemand weiss wirklich, wie in der Vergangenheit trainiert wurde, weil es keine Videos aus der Edo-Periode oder aus früheren Perioden gibt.

Antony Cummins: Die andere Sache mit vielen Koryu-Schulen ist, dass sie viele Techniken aus der Sitzposition heraus ausführen. Diese Techniken waren aber ursprünglich meistens keine Sitztechniken. Das wurde später geändert. Sogar die Schulen selbst geben zu, dass der Stil ursprünglich im Stehen ausgeführt wurde und es Änderungen gab.

Das andere Problem ist, dass es nie mehrere Kampfszenarien gibt. Es treten immer zwei Menschen gegeneinander an. Es scheint, dass die meisten Schwertschulen von heute aus der Edo-Periode stammen, weil es nie Angriffe durch Gruppen gibt. In den ursprünglichen Natori-Ryu-Schriftrollen heisst es, dass man auf einem Schlachtfeld Gruppen bilden muss. Drei Leute schliessen sich dabei zusammen und darüber hinaus hatte jeder Samurai immer Helfer.

Bushu.ch: Ich würde gerne wissen, ob du neben deiner Tätigkeit als Autor und deinem grossen YouTube-Kanal  auch einen normalen Job hast.

Antony Cummins: Nein, das wars.

Bushu.ch: Das ist sehr cool.

Antony Cummins: Ich verdiene gerade genug zum Leben und muss deshalb weiterhin die YouTube-Videos machen, um sicherzustellen, dass die Leute auf meine Bücher aufmerksam werden. Ich bin darauf angewiesen, dass sie ständig von Menschen gekauft werden, weil ich Geld brauche, um meine Projekte fortzusetzen. Ich brauche Geld, um nach Japan zu fliegen und ein paar weitere Schriftrollen zu besorgen und natürlich um mich mit den Meistern zu treffen und zu besprechen, warum manche Dinge nicht zusammenpassen. Aber das ist eine Menge Geld, weil man in Japan Getränke kaufen muss, Leute zum Essen einladen muss und die Geschenke sind auch ziemlich teuer.

Bushu.ch: Ja, Japan ist teuer, besonders wenn man herumreist, in Hotels übernachtet und ausgeht.

Antony Cummins: Viele Menschen wissen nicht, wie viel Arbeit es ist, die Hintergrundrecherche durchzuführen.

Bushu.ch: Klar, mit so vielen verschiedenen Büchern...

Antony Cummins: Ja, mein Übersetzerteam stellt zuerst ein grundlegendes, englisches Skript zusammen und davon ausgehend gehen wir hin und her. Wir überprüfen alle Quellen und schliesslich gibt es dann ein Buch, das interessant zu lesen ist. Ich schreibe auch meine eigenen Bücher. „The Ultimate Art of War" ist zum Beispiel gerade erschienen und ich habe es ganz alleine geschrieben.

Bushu.ch: Die Ninja gehören also zur Klasse der Samurai und sind ebenfalls so wie die Samurai im Nahkampf ausgebildet?

Antony Cummins: Die Frage ist, was die Samurai eigentlich gelernt haben. Wir wissen viel über die Edo-Periode. Was haben aber die Samurai in der Sengoku-Periode (ca. 1467 - ca. 1603) tatsächlich studiert? Menschen machen oft den Fehler und denken, dass alle Samurai in Städten mit Burgen gelebt haben. Das war in der Edo-Periode der Fall. Davor lebten sie auf Bauernhöfen und in Dörfern und sie leiteten das Dorf für ihren Fürsten.

Bushu.ch: Ja, so ähnlich wie ein Sheriff, oder?

Antony Cummins: Ja, sie waren so etwas wie der Sheriff des Dorfes. Sie lebten in einer Art befestigter Mini-Villa, nicht in einer Burg, sondern in einem grossen Haus. Sie hatten ihre Familie bei sich und zwar ihre erweiterte Familie.

Der Fürst hatte natürlich seine eigenen Gefolgsleute um sich herum und es gab Zeiten, in denen viele Samurai zusammen waren. Aber die Samurai studierten im Grossen und Ganzen die Kunst ihrer Familie. Sie studierten die Techniken ihrer Familien und manche von ihnen gründeten dann Schulen. Wenn man also fragt: „Was haben die Ninja studiert?“ Nun, was haben die Samurai studiert? Es gibt nicht viele Informationen über diesen Teil der Sengoku-Periode und es ist auch interessant, dass es in dieser Periode nicht so viele verschiedene Schulen (Ryu Ha) gibt.

Bushu.ch: Was findet man in traditionellen Kampfkunstschulen wie den Koryu-Schulen?

Antony Cummins: Alles was wir haben, sind Schulen aus der späten Sengoku-Periode, die sich dann meistens in der Edo-Periode geändert haben. In der Edo-Periode wurde ein Gesetz verabschiedet, das besagt, dass jedes Gebiet in Japan, alle 66 oder 60, nur eine Burg haben darf und alle anderen Burgen zerstört werden müssen. Alle Samurai mussten dann in die Hauptstadt kommen und das führte zur Entstehung eines Samurai-Bezirks. Die Edo-Periode ist auch die Periode in der sich die Koryu-Schulen massenhaft ausgebreitet haben und jeder angefangen hat Fähigkeiten zu lernen.

Koryu ist wie ein goldener Faden der in die Geschichte zurückreicht, aber man muss selbst graben. Die Informationen sind nicht so leicht zu finden. Es wäre erstaunlich, wenn sich die Techniken in den letzten 500 Jahren nicht geändert hätten, aber man kann nicht erwarten, dass das so ist. Wir wissen, wie stark sich Techniken in nur ein bis zwei Generationen ändern.

Bushu.ch: Ja, ich weiss nur, dass es in vielen Schulen, wie z.B. in der Takagi-Ryu-Schule, keine Schwerttechniken gab, weil die jungen Samurai den Schwertkampf vom Vater oder Onkel oder einem anderen Familienmitglied oder einem Freund der Familie gelernt haben.

Antony Cummins: Ja, es ist schwierig zu beweisen, weil wir einfach nicht viele Briefe haben, in denen Informationen darüber stehen, mit wem genau trainiert wurde. Was ich damit sagen will, ist, dass die Schulen immer gegen Ende der Sengoku-Periode und am Anfang der Edo-Periode populär werden und dann gibt es Hunderte von ihnen.

Bushu.ch: Hast du jemals einen Hinweis darauf gefunden, dass die Ninjas ein anderes Nahkampfsystem trainiert haben als die Samurai?

Antony Cummins: Nicht einen einzigen. Die Leute fragen dann: „Oh, wie kannst du beweisen, dass die Ninjas das nicht getan haben?“ und man fragt sich: „Woher kommt diese Idee eigentlich, dass sie es getan haben?“ Das ist nicht die Art und Weise, wie professionelle Historiker arbeiten. Man kann nicht einfach etwas erfinden und dann von anderen erwarten, dass sie es widerlegen. Ich kann nicht zum Beispiel behaupten, dass ich gestern Abend von Ausserirdischen besucht wurde und dann erwarten, dass es widerlegt wird. Das ist einfach nur lächerlich.

Mit der Geschichte ist es überall auf der Welt immer dasselbe. Man erhält Beweise und kreiert dann die Geschichte anhand der Beweise. Dann findet man heraus, ob die Beweise wahr sind oder nicht. Man kann nicht einfach etwas behaupten und dann keine Beweise dafür haben und dann sagen: „Es ist wahr". Das ist einfach nicht der richtige Weg.

Bushu.ch: Ja, nur die wissenschaftliche Methode liefert uns zuverlässige Ergebnisse.

Antony Cummins: Ja und das Nahkampfsystem der Ninja und die Behauptungen im Bujinkan machen einfach keinen Sinn. Es ist nicht mein Ziel schlecht über Bujinkan zu sprechen. Das will ich wirklich nicht. Ich habe ja Bujinkan praktiziert, aber mein Ziel war es die Wahrheit zu finden. Leider passt das was im Bujinkan trainiert wird nicht zu den Fakten und zur Wahrheit über die Ninja. Die Menschen fragen ständig, warum ich das Bujinkan angreife, aber das tue ich nicht. Mir geht es mehr darum die Beweise zu sehen. Ich habe eine Postkarte von Hatsumi erhalten. Ich habe ihn gebeten mir die Schriftrollen zu zeigen und er hat höflich abgelehnt. Und ich habe diese Postkarte immer noch. Wenn er mir also die Schriftrollen nicht zeigen kann und wenn die Geschichte nicht dazu passt und wenn nirgendwo in der Geschichte eine Ninja-Kampfkunst erwähnt wird, dann ist das schon verdächtig.

Aber die ganze Geschichte über Takamatsu und die Schriftrollen ist sehr seltsam. In ihrer Abstammungslinie gibt es besonders viele Menschen, die berühmt sind. Es ist ein alter Klan, so wie der Natori-Klan, aber er ist im 20. Jahrhundert wegen den Ninja-Geschichten berühmt. Und man findet sie alle zusammen in ihren Abstammungslinien, so dass es im Grunde so aussieht, als wäre das alles im 20. Jahrhundert erforscht und zusammengestellt worden.

Bushu.ch: Du meinst die Namen wurden später eingesetzt?

Antony Cummins: Ja und die Namen stehen in der Abstammungslinie in den Diagrammen und Zweigen. Wenn man also „Natori“ und andere Namen wie diesen sagt, dann meint man eigentlich nur die Ninja-Forschung des 20. Jahrhunderts.  Es wurden nie Namen erwähnt, die mir bisher unbekannt waren. Ich habe einige neue Ninjas wie Hagiwara Juzo und Chikamatsu Shigenori gefunden. Sie wurden bisher nicht erwähnt, aber ich habe sie gefunden. Warum ist das so? Weil es damals keine Forschung dazu gab.

Bushu.ch: Interessant.

Antony Cummins: Wenn man das Gesamtbild betrachtet, dann findet man absolut nirgendwo etwas über irgendeine Form von Nahkampfsystem speziell für Ninjas und es wäre wirklich seltsam, wenn man es jetzt finden würde. Weil es nicht unserem heutigen Verständnis der Geschichte dieser Zeit entsprechen würde.

Bushu.ch: Ja, stimmt. Dein Ziel mit der Veröffentlichung ist also eigentlich nur das Wissen weiterzugeben, oder?

Antony Cummins: Mein eigentliches Ziel ist es, dass ich bis zu meinem Tod möchte, dass jeder die Geschichte der Samurai vollständig versteht. Dazu gehören auch die Ninja. Ich möchte, dass die Menschen sich an die echte Geschichte halten. Wenn Menschen einen Film oder ein Computerspiel kreieren oder ein Geschichtsbuch schreiben, dann will ich nicht, dass sie etwas Falsches schreiben. Sie sollten zumindest mit den Grundlagen anfangen. Ich habe so viele Bücher über die Ninja gesehen, die einfach völlig falsch sind. Ich meine, selbst echte Geschichtsbücher sind völlig falsch, weil damals als sie geschrieben wurden, keine wirkliche Forschung über die Ninja oder Shinobi (wie sie in Japan genannt wurden) betrieben wurde.

Bushu.ch: Ich erkenne mehr und mehr, dass die meisten Menschen und sogar die meisten Kampfkunstlehrer ihr Wissen und ihre Inspiration aus Romanen und Filmen beziehen. Die echten Kampfkünste waren anders.

Antony Cummins: Ja, absolut.

Und das gilt eigentlich für die gesamte Geschichte. Wenn man jemanden fragt: „Was hast du gelesen?“ Sagen wir einfach mal es geht um das Thema „Tempelritter“. Wenn man jemanden fragt: „Was hast du über die Tempelritter gelesen?“ Ich wette, dass das meiste davon aus Romanen oder Filmen von Dan Brown stammt. Wie viele von ihnen haben eine Universität besucht und eine Fachzeitschrift über Tempelritter gelesen? Keiner von ihnen. Sie haben einen Film gesehen. Sie haben vielleicht ein oder zwei Bücher gelesen, die wahrscheinlich zur allgemeinen Geschichte gehören und noch nie selbst nachgeforscht. Bei den Kampfkünsten ist es dasselbe.

Mein Ziel ist es eine Reihe von Büchern zu schreiben, die leicht zu lesen sind, damit die Menschen verstehen können, was die Samurai eigentlich waren.

Bushu.ch: Ja, viele Kampfkünstler verkleiden sich als Samurai und stellen seltsame hierarchische Regeln im Dojo auf. Ich  meine, das ist lächerlich. Man kann das natürlich tun, aber es hat überhaupt nichts mit echten Samurai zu tun.

Antony Cummins: Ich bin derselben Meinung und wenn man wirklich viel über die Samurai liest, dann weiss man, dass es tatsächlich eine Menge ausländischer Berichte über die Samurai und über Japan aus der Zeit um 1500 gibt, als die Jesuiten dort waren. Das könnten so zwischen 1000 und 2000 Seiten sein. Sie besagen, dass die Samurai bösartig und brutal sind und sich gegenseitig sofort verraten. Einige berichten sogar davon, dass zwei Rivalen friedlich etwas zusammen essen und innerhalb weniger Sekunden hackt einer von ihnen dem anderen den Kopf ab, nachdem er ihn in die Falle gelockt hat und betrunken gemacht hat.

Die Samurai müssen sehr gute Kämpfer gewesen sein und in einigen dieser Jesuitenberichte heisst es, dass alle Samurai bösartig sind. Sie sind echt gute Kämpfer. Was viele Menschen nicht wissen, ist, dass Samurai als Söldner in Südostasien angeheuert wurden.

Bushu.ch: Davon habe ich noch nie gehört.

Antony Cummins: Ja, Steven Turnbull hat einen akademischen Artikel darüber geschrieben. Früher kamen Menschen nach Japan und heuerten Samurai an und einige der Samurai waren früher Piraten und gingen nach Südostasien und waren in alle möglichen Kämpfe verwickelt. Aber das war bevor Japan sich vom Rest der Welt isoliert hat.

Bushu.ch: Echt? Das ist nicht die romantische Version der Samurai, die wir normalerweise in Filmen sehen.

Antony Cummins: Es gibt so viele Dinge, die die Menschen über die Samurai nicht wissen. Das Seltsamste, was ich jemals gehört habe, stammt von einem Kenjutsu-Meister. Er sagte, dass die Schwertkunst sehr langsam und elegant ausgeübt wird, weil die Samurai so ehrenhaft sind, dass sie niemals von hinten angreifen. Sie warten einfach auf den anderen. Ich dachte mir nur: „Was?!“ Was trinken diese Menschen? Die sind verrückt. Die Samurai ermordeten sich gegenseitig wo es nur ging.

Bushu.ch: Ja, das stimmt. Ich habe im Koryu so viele Techniken gesehen, mit denen man den anderen blockt und nicht zulässt, dass er die Waffe herauszieht und man einfach hingeht, um ihn zu töten.

Antony Cummins: Versteh mich nicht falsch, für mich sind die Samurai und ihre Bräuche grossartig. Aber es gibt so viel mehr zu diesem Thema als das, was man heute in den Filmen sieht. Niemand weiss, was die Samurai wirklich gemacht haben. Also werde ich genau diese Frage beantworten.

Bushu.ch: Grossartig. Ich kann es nicht abwarten mehr darüber zu lesen.

Antony Cummins: Viele Leute verstehen nicht, warum ich die Natori-Ryu-Schriftrollen veröffentliche. Ich veröffentliche sie, um die Frage über die Ninja zu beantworten. Wir müssen die Samurai wirklich verstehen. Wenn wir die Samurai verstehen, dann können wir auch die Ninja verstehen. Wie kann ich also jeden dazu bringen, die Samurai zu verstehen? Mir kam dann der Gedanke in alle meine Schriftrollen aus der Natori-Schule zu schauen. Ich habe 28 Schriftrollen mit massiv viel Inhalt und sie enthalten die echten Worte eines echten Samurai, der auch ein echter Ninja war. Ich konzentriere mich auf „Natori Ryu“, weil es ist ein einheitliches System ist, mit allem was wir brauchen, um die Samurai zu verstehen.

Bushu.ch: Das ist ein grosses Projekt, was du da vor hast.

Antony Cummins: Ich werde etwas erklären, das „Gungaku“ genannt wird. Die meisten Menschen kennen das Wort „Budo“ und alle damit verbundenen, ähnlichen Wörter, aber Budo bedeutete ursprünglich nicht Kampfkunst. Es bedeutet „Bushido“. Es wurde aber einfach auf „Budo“ gekürzt. Es gibt auch noch „Heiho“, was eigentlich Kampfkunst oder Kriegsführung bedeutet. Und „Gungaku“ ist das Studium der Kampfkünste. Heute kennen alle Menschen nur das Wort „Budo“, aber das ist nicht das Wort, das in der Vergangenheit benutzt wurde. Budo bedeutete früher Spiritualität oder „der Weg des Bushi“.

Ich denke, wenn ich die Serie über Natori beende, dann werden es etwa eine Million Seiten oder eine halbe Million Seiten sein. Das wird helfen die Samurai besser zu erklären.

Bushu.ch: Viele Kampfsportler sind interessiert an der Geschichte der Samurai.

Antony Cummins: Die meisten Menschen wollen sich nur mit dem Kämpfen und nicht mit der Strategie beschäftigen. Mein Leben ist für mich persönlich aber viel klarer, nachdem ich die Strategie studiert habe. Sie gibt meinem Leben eine Struktur. Ich schreibe sogar demnächst ein neues Buch mit dem Titel „How to be a modern Samurai’ das im Juli 2020 erscheinen wird. In diesem Buch werde ich darüber schreiben, wie man die Strategie für sich selbst nutzen kann. Ich hoffe ich kann einige Meinungen ändern und das Interesse für die strategische Seite der Samurai fördern.

Bushu.ch: Ja, das klingt grossartig. Vielen Dank für deine Zeit.

Antony Cummins: Danke vielmals.

Bushu.ch: Ich hoffe, dass ich bald wieder mit dir sprechen kann.

 

Seitens Bushu.ch führte Raoul Haldimann das Interview mit Antony Cummins am 7. Januar 2020 per Skype durch.


Mehr Informationen über Antony Cummins findet kann man hier finden:

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